Die geheimnisvolle Besucherin kennt die ungew?hnlichen Ideen des Gro?stadtwanderers und ist deshalb kaum überrascht, als er sie auf ein Bier in die Stra?enbahn einl?dt. Das h?tten sie in den glorreichen Tagen des Trampelpfads auch oft gemacht und er sei sicher, dass ihr dieser kleine Trip in die Berliner Spa?- und Trinktradition nicht nur gut gefallen, sondern auch bestens schmecken werde. Immerhin stünden dort acht verschiedene Biere direkt von Fass zur Auswahl.
Okay, denkt die geheimnisvolle Besucherin, in Berlin gibt’s bekanntlich alles und warum nicht auch eine Stra?enbahn mit Bierausschank. Allerdings ist sie dann doch etwas erstaunt, dass sie nicht in eine der Trams steigen, die kreuz und quer übern Alex rumpeln, sondern mitten durch das dickste Feierabendgewühl hoch zur S-Bahn stiefeln. Mit selbiger geht’s dann zum Bahnhof Zoo und alldorten hinab in den tiefsten Keller, wo auch keine Stra?en- sondern die U-Bahn wartet. Die hat natürlich auch keinen Biertresen an Bord und die geheimnisvolle Besucherin hat allm?hlich mit Durstfantasien zu k?mpfen.
Nun geh?rt die geheimnisvolle Besucherin zu den geduldigeren Menschen. Doch als sie am Bundesplatz aus den Tiefen des Untergrunds wieder zur Erdoberfl?che hinauf gestiegen sind, fordert sie energisch die sofortige Einkehr in irgendeine Bude mit Bierhahn. Normalerweise geh?rt es zu den Gepflogenheiten des Gro?stadtwanderers, ihr m?glichst jeden Wunsch zu erfüllen. Doch diesmal scheint er gar nicht daran denken zu wollen. Stattdessen zerrt er sie noch ein bisschen durch die beginnende Sp?tsommernacht und hinein in eine Kneipe, deren Tresen wie jenes ?ffentliche Verkehrsmittel aussieht, das im alten Berlin die Elektrische genannt wurde.

Endlich gibt’s sch?nes frisches Bier und dann taucht auch noch Inge auf. Dabei handelt es sich zum Erstaunen der geheimnisvollen Besucherin jedoch nicht um eine sch?ne junge Dame, sondern um einen etwas ?lteren Herren aus Norwegen, wo nur M?nner Inge hei?en. Dieser norwegische Ingenieur ist übrigens Stammgast dieser ganz besonderen ?Stra?enbahn“ seit der ersten Stunde. Als junger Student zog er vor fast vierzig Jahren sogar extra aus Berlins Norden nach Friedenau, weil ihm diese Kneipe so gut gefiel. Heute lebt Inge l?ngst wieder in Oslo, doch seine alte Studentenbude hat er behalten. Die braucht er auch, denn ein paar Mal im Jahr packt ihn eine schier unstillbare Sehnsucht nach dieser kleinen lauschigen Kneipe in der Laubacher Stra?e. Dann muss er rasch nach Berlin fliegen um ein paar Tage Friedenauer Stra?enbahnfeeling zu schnuppern.
Die Stra?enbahn wird übrigens seit Gründung im Jahre 1977 von einem Kneipenkollektiv betrieben. Klingt nach DDR, ist aber Good Old West Berlin. Zwei von damals sind heute noch dabei und ein paar andere sind hinzu gekommen. Wie eh und je werden Entscheidungen gemeinschaftlich getroffen und Trinkgelder wandern in soziale Projekte. Ver?ndert hat sich hingegen die Raumaufteilung: Der einstige Nichtraucherraum ist heute der Rückzugsort für die Fans des Glimmstengels, damit die G?ste im Tresenraum die Produkte der Stra?enbahnküche genie?en k?nnen…

Fotos: Ulrike H?ck